Andreas Weber
Andreas Weber nimmt am Podiumsgespräch vom 2. Juli 2022 teil und ist bei der Führung vom 24. Juli 2022 anwesend.
Werke in der Ausstellung
Bei prächtigem Winterwetter konnte ich zwei Bilder von Caspar Wolf mit der heutigen Realität abgleichen: «Blick von Hospental Richtung St. Kolumban und Andermatt» und «Blick von St. Kolumban bei Andermatt nach Hospental», beide 1778.
Wie an den Titeln ablesbar, handelt sich bei diesen «Pendants» um die doppelte Darstellung des unteren Urserentals in einer Art protocinematischer Schuss-Gegenschuss Technik: Wolf blickt an den gut drei Kilometer voneinander entfernten Standorten jeweils in die Richtung des anderen, der dann leicht rechts von der Bildmitte knapp erkennbar ist. Für die beiden Panoramen verwendet er ein überbreites Format, das an CinemaScope Filme denken lässt: Statt 2.55:1 geht Wolf mit 3:1 aber noch extremer in die Breite – und möchte gleichwohl einen noch grösseren Ausschnitt der Berglandschaft zeigen, weiter als das natürliche menschliche Gesichtsfeld, mehr als die Leinwand zu fassen vermag.
Ein ähnliches Problem war fast 200 Jahre später zu lösen: Wie macht man einen Film für eine Projektion im 2.55:1 Format, wenn man aus wirtschaftlichen Gründen an den 35 mm Film und damit an einen Bildträger im 1.5:1 Format gebunden bleibt? Die Lösung waren spezielle Objektive, sogenannte Anamorphote, mit denen das Bild bei der Aufnahme kontrolliert verzerrt wird.
Caspar Wolf erzeugt ähnlich anamorphe Bilder, indem er die Landschaft so stark staucht, bis sie auf der Leinwand Platz findet. Besonders deutlich sieht man dies an der unzimperlichen Quetschung der in die Bildhöhe eingespannten Architekturelemente, insbesondere die Kaplanei St. Karl, links im Hospental Bild.
Beim CinemaScope Film werden die anamorphen Bilder bei der Projektion durch spezielle Linsen wieder entzerrt; das Publikum bekommt ein fotorealistisches Abbild zu sehen. Nicht so bei Caspar Wolf: seine Landschaften erreichen die Retina im verdichteten Zustand um sich erst vor dem inneren Auge in ihrer ganzen Erhabenheit zu entfalten.
25. Februar 2021

der obige Text ist ein Auszug aus
Annäherungen an Caspar Wolf
Reisejournal von der «Grand Tour Caspar Wolf»
Stand März 2021

Foto: Roger Harrison
«Caspar Wolfs Gletscher», 2022
Rauminstallation, Rechner, Monitor, Soundsystem
Datenbasis der Simulation: Glacier Monitoring Switzerland (GLAMOS)
Komposition «Sonifikation von 16 Alpengletschern»: Hermann Bühler
Wissenschaftlicher Berater: Dr. Andreas Linsbauer
Code: Daniel Lotfi
Standort: Villa Wild
«Annäherungen an Caspar Wolf»
Reisejournal von der «Grand Tour Caspar Wolf»
März 2021